Rezensionen

2024

2023

Traumfänger – zu den Objekten und Bildern des Wilfried Schwerin von Krosigk

Traumfänger, Glücksdetektor oder etwa Persönlichkeitstrainer nennt Wilfried Schwerin von Krosigk die dreidimensionalen Objekte, die er aus Fundstücken ganz    unterschiedlichen Materials und Herkunft zusammenfügt. Der Künstler lässt sich anregen von vorgefertigten Dingen, die er „findet“, die zu ihm gelangen, weil ihn Form,Farbe oder das Material reizen. Fragmente des Alltags, industriell in Massen produziert, etwa als Haushaltshilfe wie ein organisch wirkender Schwamm oder mit Schaumstoff umwickelte Metall-Muskeltrainer, verbindet Schwerin von Krosigk mit ganz andersartig anmutenden Materialien, mit chemisch hergestelltem Plexiglas oder Drähten und dünnen Kabeln bzw. Schläuchen, die er zu fragil erscheinenden graziösen Konstruktionen zusammenfügt. Auch Relikte aus der Natur, etwa ein Rehbock-Gehörn – Ahnenforschung – , oder Holzlatten sind integriert. Die Objekte scheinen frei vor der Wand zu schweben, und dabei bildet ihr Schattenwurf eine mit dem Licht veränderbare ästhetische Komponente von hohem Reiz. … die Wand hinter dem Bild (wird) zur Arena von Schattenzeichnungen… Wie in der Quantenphysik beeinflusst das Verhalten des Betrachters das Resultat der Beobachtung, so der Künstler. (1)

In verblüffend neuartigem Zusammenhang fügt sich ein poetisches Sein zusammen, das die Betrachter auf beschwingte und oft spielerisch ironische Weise mitnimmt in eine Welt der Phantasie und Experimentierlust, die sie zum Nachdenken anregt. Fundstücke, denen jeder materielle oder ideele Wert abgesprochen wird, sind verwandelt in differenzierte und aussagekräftige Werke der Kunst: Vor allem im Ungewollten ist das Überraschende und Rätselhafte zu entdecken. (1)

Als Schwerin von Krosigk Anfang der 1990-er Jahre damit beginnt, sich diesem Abenteuer des ungeplanten und damit abenteuerlichen Findens und Neuschaffens hinzugeben, lebt er seit rund sechs Jahren in New York. Der gebürtige Detmolder (1954) hatte nach abgebrochenem Jurastudium vier Jahre an der Kunsthochschule Köln studiert, 1983 als Meisterschüler von Werner Schriefers, einem Maler des Informel, der sich ebenso intensiv mit Design, also mit Gegenständen und angewandter Kunst, beschäftigte.

In der „Neuen Welt“, in dem heute noch angesagten Zentrum der aktuellen Moderne, ist der Geist von Marcel Duchamp genauso wie in Europa lebendig. Mit Fahrrad-Rad (1913) oder Fountain  (1017) hatte der französisch-amerikanische geistreiche Anreger von Konzeptkunst, Dada und Surrealismus Inkunabeln der Verbindung von Kunst und Alltag geschaffen. Er thematisierte damit ein künstlerisches Anliegen, das Robert Rauschenberg rund fünfzig Jahre später zu neuen Dimensionen weiterentwickelt und das in den 1960-er Jahren Kennzeichen der Pop Art wird. Auch Schwerin von Krosigk leistet ja mit Spolien des Alltags eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart. (1)  Gravitationslinse, in zart nuancierter Grau-Tönung und zurückhaltend markierten geometrischen Formen, verrät schon im Titel, wie breit das Spektrum des Künstlers ist…Dazu werden wissenschaftliche Untersuchungen ebenso herangezogen wie kulturelle und historische Zitate, analytische Beobachtungen und karikaturistische Bemerkungen. (1) Der Künstler überzieht die verbindenen, durchsichtigen Plexiglasscheiben der Materialcollagen auch mit Zeichnungen von poppig kräftiger Farbigkeit. Als organisch gerundete oder seriell gereihte Farbbahnen greifen sie die Grundstruktur der Objekte auf oder arbeiten gegen sie und bestimmen so den heiter dynamischen Gesamteindruck.

Ähnlich farbig und formal zu einprägsamen Chiffren vereinfacht, entfalten seine Leinwand-Bilder der späten 1980-er Jahre ihre Wirkung. Flüssige Pinselstriche, die mehr emotional gelenkt erscheinen, sind in der New Yorker Zeit ebenso möglich. Sie überziehen einfache Verpackungs-Kartons, deren aufgedruckte Schrifzeichen zwischen der Malerei zum reizvollen Dialog frech hervor blinzeln. Bei diesen rough works wirkt die frühe Prägung des Künstlers durch das Informel nach. Rasch ins Bild skizzierte oder collagierte figürliche Fragmente erinnern an Schwerin von Krosigk als Zeichner von Illustrationen und Karikaturen, mit denen er Anfang der 1980-er Jahre bei Verlangen und Zeitschriften reüssierte. Zu seinem, wie der Künstler sagt, gewagten Cartoonbuch über Joseph Beuys schickt ihm der berühmte Kollege 1982 folgenden Kommentar: Ich finde Ihr Buch außergewöhnlich. Die Art, wie Sie mit dem VERKENNEN umgegangen sind, füllt es eine klaffende Lücke…(1)

In Berlin beginnt Schwerin von Krosigk 1998 die Serie der Loungebilder, Leinwände im Format 45 x 45 cm. Auf ihnen hält er in den nächsten zehn Jahren seine Vorstellung und Faszination von dieser besonderen Räumlichkeit fest: Die Lounge  ist niemals das Ziel. Sie ist ein Zwischenaufenthalt für Reisende, ein gefrorener Augenblick in der Zeit. Sie bedeutet Erwartung und Versprechen. Eine unterschwellige Bedrohung geht von ihr aus. (1) In mehr als 200 Versionen variiert bzw. erdenkt und erfühlt der Maler die Innenräume. Es sind Einblicke in Hotel, Theater, Kino, U-Bahn oder nicht näher definierbare repräsentative Hallen. Die Räume sind sorgfältig beschrieben, in starker, oft übersteigerter Perspektive oder durch überraschende, geheimnisumwitterte Ausschnitte. Menschen tauchen schemenhaft auf. Dem entspricht die vereinfachte Formensprache mit geschlossenen feinpinseligen Farbflächen, deren grauen Grundton kräftige Akzente in Rot, Grün oder Gelb beleben. Die Bilder orientieren sich an einer gedachten Realität. Ihre Darstellungen von Räumlichkeit, von Menschen, generell dem Figurativen sind angeregt durch Schwerin von Krosigks gedankliche Arbeit an Filmhandlungen, an Drehbüchern. Eine unendliche Geschichte entsteht. Und diese kann auf vielfache Weise vor uns ausgebreitet und erzählt werden, je nach serieller Abfolge der Bilder, die der Künstler offen hält.

Mitte des Jahrzehnts, gerade zurück in Deutschland, hatte Schwerin von Krosigk das Schreiben als weiteres Ausdrucksmittel forciert. Er verfasst zusammen mit seiner Frau Sue Schwerin von Krosigk Drehbücher und Kriminalromane. Die Romane spiegeln mit ironischem Humor eine genau beobachtete Kunstszene – Beispiel Berlin. Einmal gelingt es ihm, Schreiben mit bildnerischem Schaffen zu verbinden. Der Kriminalfilm Faust- Villa Palermo (ZDF, 1996) folgt nicht nur dem Drehbuch Schwerin von Krosigks, sondern auch der gesamten künstlerischen Ausstattung des Autors mit eigenen Werken: Die Präsentation der Kunstobjekte im Rahmen einer  fiktiven Dramaturgie folgt nicht mehr dem Realen, der Wahrheit, sondern ersetzt das Reale durch Zeichen des Realen. Ein Unterschied liegt jedoch darin, dass die im Film zu sehenden Kunstobjekte auch unabhängig von der Fiktion real existieren. Das Simulakrum wird zum „Event“, der ähnlich einer Vernissage dazu dient, auf die ausgestellte Kunst aufmerksam zu machen. (1)

Schwerin von Krosigk zeigte seine Bilder und Objekte früh öffentlich: Der ersten Ausstellungsbeteiligung 1980 folgen weitere Gruppen- und Einzelausstellungen in Deutschland,  England, Tschechien und in den USA. Hier lehrt er Anfang der 1990-er Jahre an der Princeton University, wird Mitglied der Gruppe American Abstract Artists.

Heute konzentriert sich Schwerin von Krosigk darauf, das Wesentliche seiner Malerei und seiner Objekte miteinander zu verbinden. Der Künstler reduziert Format und Arbeitsmaterial, um der Essenz seiner Weltsicht stetig näher zu kommen, um sie immer prägnanter zu beschwören.

Dr. Brigitte Reinhardt

Ehemalige Direktorin Ulmer Museum

 

(1) Wilfried Schwerin von Krosigk, unveröffentlichte Aufzeichnungen

 

 

2013


„Ruhestörung“ Streifzüge durch die Welten der Collage –  MARTA Herford und Kunstmuseum Ahlen

Sicher fördert der glückliche Zufall den interessanten Fund. So entdeckt der Wanderer seine Schätze am Wegesrand oder am Strand, während der Städter in dem für die Abholung vorbereiteten Sperrgut stöbert, Flohmärkte besucht oder einfach nur über Liegengebliebenes stolpert. Ähnlich agiert der in Berlin lebende Künstler Wilfried Schwerin von Krosigk, der in New York und Berlin Fundstücke einsammelt. Es ist die besondere Magie des Profanen, die ihn provoziert, mit den im Atelier eingelagerten Dingen zu arbeiten, zum Beispiel mit einem 1994 am Berliner Kurfürstendamm im Rinnstein entdeckten gelben Kabelstrang, den er mit einem anderswo aufgegriffenen Klappstuhl und mit Handzeichnungen auf Plexiglas kombinierte, um seinen „Traumfänger“ zu schaffen. Sein Spiel mit dem Fragment entspricht einem poetischen Fabulieren mit abgelegten Dingen, die den Künstler unwiderstehlich zum Dialog auffordern. (Thomas Schriefers: Die Magie des Profanen – Erneuerung und Recycling)

 

2001

Kunstmuseum Ahlen
„ ….demgegenüber isoliert Wilfried Schwerin von Krosigk die Resultate menschlichen Erfindungsreichtums einer sich verselbstständigen Massenproduktion, um sie durch Ergänzungen neu zu bewerten. Über seine Arbeit sagt er selbst, dass er mit seinen Objekten „die Rationalität der Technik in ein Spannungsverhältnis zur Emotion, zur Irrationalität, zur subjektiven Empfindung“ stellt. Wilfried Schwerin von Krosigk interessiert nicht die Vollendung, sondern der skizzenhafte Prozess, „die Entstehung der Gedanken, das Abenteuer, nicht zu wissen, wie die Suche weitergeht, kurz gesagt: Die Neugier“. Dass er dabei eine gewisse ironische Distanz wahrt, zeigt der Umgang des Zeichners mit seinen Funden, die er sammelt: „Spontan und willkürlich treffen die verschiedensten Dinge aufeinander“ – schnell auch deshalb, „ um meine vernünftigen Kontrollinstanzen zu überlisten“: Daraus resultieren Objekte wie der Persönlichkeitstrainer (1992), der Genbeschleuniger (1992) und der Glücksdetektor (1994); mit Plexiglasscheiben verbundene Gegenstände, mit denen Wilfried Schwerin von Krosigk in unbändiger Neugier dem nachspürt, was Wissenschaft bewirkt.“ (Thomas Schriefers: Das Experiment – Collagekunst im 20. Jahrhundert)

 

1990

Deutsches Generalkonsulat New York
Man sieht großformatige Bilder von starker Farbigkeit, Man spürt eine gewisse Lust am Schaffen. Der Künstler scheint mit Freude daran zu gehen, diese Bilder zu malen. Man sieht die Spritzer der Farbe, man sieht die schönen, starken Linien, das Ornamentale, aber man sieht auch Gitter und Raster, Piktogramme, also gliedernde Elemente, die sehr stark in den Bereich des Technischen zu gehen scheinen. Auf den ersten Blick vielleicht könnte man es interpretieren als eine sehr amerikanische Malerei. Der Künstler lebt eben in Köln und Amerika und man kann sicher sein, dass hier Elemente, die in Europa nicht in der Weise denkbar wären, mit zum Tragen kommen.  Auf der einen Seite das stark vom Gestus des Malens bestimmte „actionpainting“, also das Aktive mit Freude am Umgang mit Farbe arbeiten, der Verzicht auf alles Abbildende und auf der anderen Seite dann die Verwendung von Mustern „pattern“, die sich auf einem solchen Bild in Kontrast setzen zu diesen freien Strukturen. Muster, das sind Punkte, sind Raster, sind Gitter, sind Wellenlinien, die zueinander parallel verlaufen, sind aber auch Figuren, Piktogramme, verschiedene Formen von Pattern, die man sonst aus anderen Lebensbereichen kennt. Der Künstler verwendet die Muster, die er umsetzt in seiner individuellen Art der Gestaltung. Es ist nicht das Strenge, mit einem Raster, mit einem Lineal gemachte oder mit einer Schablone hergestellte, sondern es ist ein gezeichnetes, gemaltes, aus der Hand kommendes Muster. Das Muster oder Pattern ist ein Begriff, der viel mit unseren Denkmodellen zu tun hat. Die Verwendung eines Musters führt dazu, dass wir unsere Wirklichkeit ordnen können, dass wir ihr ein System auferlegen können. Dabei fällt immer ein Teil der Vielfalt der Erscheinungen unter den Tisch, weil sie nicht zum Muster passen. Umgekehrt hilft uns aber das Muster, die Dinge in einen bearbeitbaren, einen verträglichen Rahmen zu bringen, der es uns möglich macht, damit zu leben, tatsächlich also nicht von der Vielfalt der Erscheinungen überwältigt zu werden. Das ist es genau, was Krosigk will. Er stellt fest, mit der starken Farbigkeit, mit den vielen Formen, dass wir umgeben sind von verwirrenden Erscheinungen, die wir ohne die Hilfe von Mustern gar nicht bewältigen könnten, zum Beispiel in den Kommunikationsmedien, die  uns täglich bombardieren. Wir können uns gar nicht wehren – Informationen, die wir bekommen, eine Fülle von Reizen durch Geschwindigkeit, durch Lautstärke, die auf uns einprasseln und die uns geradezu hilflos machen könnten, mit ihnen fertig zu werden – hätten wir nicht die Hilfe eines Musters.  Das englische Wort Pattern für Muster hat aber noch eine andere Bedeutung, nämlich in der Verhaltensforschung. Die Erforschung des menschlichen und tierischen Verhaltens verwendet diesen Begriff, um deutlich zu machen, dass es gewisse Muster oder Pattern des Ablaufes gibt, die immer wiederkehren. Dieser Begriff des Musters passt eigentlich noch stärker gedanklich zu dem, was Krosigk macht, denn er beschäftigt sich letzten Endes  immer doch mit Menschlichem und mit Menschen in seinen Bildern. Es tauchen Menschen auf, als Umriss, als Piktogramm, im Titel zum Teil. Es tauchen menschliche Produkte auf, Dinge, die den Menschen hier auf der Erde oder auch im Weltraum interessieren. Schon an den Titeln der Bilder merkt man, wo das so hinläuft, ins Kybernetische, in Fragen der Gravitation, des Universums usw. Und diese Muster, die er verwendet und die er konterkariert mit den freien Formen, mit der Lust am Malen, das bringt er in ein gewisses ausgewogenes Verhältnis. Und das ist dasjenige, was die künstlerische und auch die philosophische Qualität dieser Bilder ausmacht. (Dr. Christian Rathke)